Dieser Blog ist über mich, Birgit KOBER, ein Mitglied der Deutschen Nationalmannschaft (Behindertensport) und ich bereite mich auf die Paralympics in Rio 2016 vor.
In diesem Blog lasse ich Sie an meinen Höhen und Tiefen im letzten Jahr vor diesem Großereignis teilhaben, an meinem persönlichen COUNTDOWN für RIO 2016.

Montag, 29. Februar 2016

ins Trainingslager und zu Wettkämpfen nach Dubai - 191 Tage bis Rio 2016

Nach Rio ist für mich vor dem Trainingslager und dem Grand-Prix-Wettkampf in Dubai. Zusätzlich noch ein weiterer Wettkampf im Nachbaremirat Sharjah. 

Ich freue mich sehr auf diese Zeit, weil in Dubai sehr angenehme Bedingungen für ein Trainingslager für uns sind: 28-30 Grad mit leichtem Wind, gutes Hotel, ein schönes Trainingsstadion in Sharjah und immer gute Organisation der Wettkämpfe. Zudem sind die Menschen dort sehr nett und freundlich, wir treffen dort mittlerweile wirklich Freunde. 

Wir werden fast drei Wochen in Dubai sein, was meine Katzen sicherlich nicht toll finden, aber ich danke jetzt schon meinen Nachbarn, der Familie Merino/Groß und Claudia Sterba und Marcel Hampp, dass sie meinen Vieren diese Zeit sicherlich wieder erträglicher gestalten. Ich kann Euch gar nicht sagen, wie viel es mir bedeutet, dass ich meine "Katzenfamilie" gut in Euren Händen weiß!! 

Neben dem Wettkampf steht für mich auch eine neue Klassifizierung an. Wenn einige von Euch nicht wissen, was Klassifizierung ist, so erklärt dieser Link der IPC athletics Homepage die Verfahrensweise der Klassifizierung auf Englisch. 

Ich kann vielleicht auch noch kurz ganz allgemein etwas dazu schreiben:
Wenn ein Sportler international starten möchte, dann braucht er eine Startklasse, in die er bei der sogenannten "Klassifizierung" eingestuft wird. Das ist ein relativ kompliziertes Verfahren. Im Vorfeld müssen Arztberichte und Gutachten, die auf Englisch übersetzt wurden, an den internationalen Verband eingereicht werden und auch ein Antrag auf internationale Klassifizierung gestellt werden. Dann kommt die Bestätigung, dass der Antrag genehmigt wurde und man muss schauen, bei welchem internationalen Wettkampf Klassifizierungen angeboten werden und sich dann dafür anmelden. 
In der Klassifizierung selbst ist dann ein internationales Team von Klassifizierern, die aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommen. Wer eine Behinderung wie ich im zerebralen Bereich hat, der bekommt natürlich ein Team, das sich hier besonders gut auskennt. Zuerst wird man eingehend befragt, die Arztbriefe und Gutachten werden nochmals angeschaut. Dann folgt eine ausführliche Untersuchung und Tests. Das alles ist schon anstrengend. Danach muss man mit diesem Team auf den Sportplatz und sie schauen genau zu, wie man wirft oder auch bei anderen Disziplinen läuft oder springt. Danach wird entschieden, in welche Startklasse der Athlet eingestuft wird. 


Eigentlich bin ich ja im letzten Jahr erst klassifiziert worden, aber durch die Implantation meines Vagus-Nerv-Stimulators, also des Hirnschrittmachers, haben sich im Laufe der Zeit, als als man die Stromstärke langsam immer höher gestellt hat, gravierende Nebenwirkungen in der Form eingestellt, dass sich meine Grundbehinderung, die Ataxie massiv verschlechtert hat. 
Aus diesem Grund werde ich in diesem Jahr nochmal neu eingestuft. 

Es ist oft eine schwierige Gratwanderung. Die Kontrolle der Epilepsie ist bei mir der elementare Faktor, dass ich an Wettkämpfen starten kann, auch überhaupt mit zu internationalen Trainingslehrgängen fahren darf. Insofern steht das über einer Verschlechterung der Behinderung und ich muss das tolerieren. 

Ich hab das nur so ausführlich geschrieben, dass erst gar keine großen Fragen aufkommen.


Dann geht's also los nach Dubai und ich freue mich, dass
Constanze Wedell so kurzfristig als Begleitperson eingsprungen ist! Danke :-D

Montag, 22. Februar 2016

nach dem "Reha-Trainingslager" in Rio de Janeiro - 200 Tage bis Rio


Ich musste ein paar Tage ins Land gehen lassen, damit die vielen Eindrücke von Rio sich erstmal in mir ordnen können. 
Während meines "Reha-Trainingslagers" habe ich vieles auf meiner öffentlichen Facebookseite gepostet, die ich oft als eine Art Pinnwand verwende, weil es so schnell und einfach geht. Diese Posts, einschließlich Fotos, können dort gerne noch im Nachhinein nachgelesen werden. 

RIO de Janeiro: was soll man über diese Stadt erzählen, wie sie am besten beschreiben?!

Ich bin noch nie in Lateinamerika gewesen und als ich aus dem Flughafen raus war, hätte mich die Luftfeuchtigkeit fast zu Boden gerissen. Für meine Gastgeber alles ganz normal. Die Luftfeuchtigkeit war so stark, dass selbst meine Linse im Foto keine Lust hatte und sich mal munter so beschlagen hat, dass sie einen halben Tag brauchte, um wieder zu "entkrampfen".
Nachts schläft man deshalb auch mit Ventilator, der fast in jeder Wohnung dauerhaft röhrt. In der ersten Nacht hab ich gebibbert unter diesem Wind unter meinem Mini-Bettlaken. Ach das fanden alle witzig, weil ich doch aus dem kalten Deutschland komme, und da friert es mich dann. Ich bekam aber dennoch eine wärmere Decke, hatte aber sofort den Zwergpudel der Gastgeber auch mit drunter liegen, dem es anscheinend auch gefallen hat, sich vor dem Ventilatorwind zu schützen.
Diese Teile röhren wie Düsenflugzeuge, der Wahnsinn.


Rio hat einen wunderbaren Geruch aus vielem: dem Meer, das die gesamte 6,3 Millionen Metropole auf einer Gesamtstrecke von über 65km nur mit Strandpromenade umsäumt. Es riecht irgendwie nach Pflanzen, die ich noch nie gerochen habe und auch die Kombination von Luftfeuchtigkeit und nennen wir es mal alles, was so in der Stadt umschwirrt, kam auch noch dazu. Aber es roch anders, es roch gut, ich hätte meine Nase stundenlang in den Fahrtwind hängen können.

Ich hab auch vieles an Früchten gegessen, deren Namen ich noch nie gehört hatte, die ich noch nie gesehen hatte und die ich definitiv vermissen werde, weil sie so unendlich lecker waren. Auch die Mate Getränke waren fantastisch. Verhungern tut man nicht in diesem Land!

Die Brasilianer selbst sind ein unwahrscheinlich herzliches Volk, entspannt, anders als wir Europäer und ich bin unendlich dankbar dafür, dass mir so viel Einblick in die Lebensweise so vieler großartig liebenswerter Menschen gewährt wurde. Viele haben sich einfach so frei genommen, um mir ein bisschen von ihrer Stadt zu zeigen, jeder irgendwie anders. Sie haben mich in ihre Wohnungen eingeladen, vollkommen unkompliziert und einige sind mir zu wirklich guten Freunden geworden, werden auch auf einen Gegenbesuch nach Deutschland kommen. 

Ich habe gelernt, dass man zu den ärmeren Vierteln nicht "favela" sagt, sondern "comunità". Ich habe auch gelernt, dass "comunità" nicht gleich comunità ist, dass es gefährliche gibt, ungefährliche und solche, die es sogar zu örtlichen Ruhm gebracht haben, mittlerweile eine Touristenattraktion sind.
In unserer hab ich aber zuweilen mal eingekauft und wurde jedes Mal sehr freundlich begrüßt. Da kennt man sich dann schon. 

Weiter sind die Gegensätze zwischen arm und reich (für jemand aus Europa) unschwer zu übersehen. Ich hab halt noch nie Kinder im Stau zwischen den Autos Bälle für Geld jonglieren sehen. Die Tatsache, dass es eigentlich keinen wirklichen Weg raus aus den ärmeren Vierteln gibt, lässt einen nicht kalt. Dennoch strotzen alle voller Lebensfreude, sie jammern nicht und ich habe auch Menschen kennen gelernt, die für sehr wenig Geld arbeiten, die 24-Stunden Jobs haben.


Die Cristo-Statue, der Zuckerhut, die Copacobana, der botanische Garten... - über all das kann man viel lesen, Fotos und Dokumentationen anschauen, so richtig lebendig wird es dann erst, wenn jeder selbst dort steht. Wenn ich beeindruckend und unheimlich schön sage, dann trifft es das natürlich, aber es ist mehr und jeder muss dieses "mehr" für sich selbst entdecken. Ich freue mich, dass ich jetzt schon mal die Chance dazu hatte, denn wenn ich zu einem Wettkampf fahre, dann ist die oberste Prämisse dieser Wettkampf und dass ich gut abschneide, mich gut vorbereite und auch gesund zurück komme. Alles andere ist eine nette Zugabe. Und ich hab es in London 2012 gesehen, dass ich eigentlich keine Chance für touristische Aktionen hatte, insofern könnte ich Rio diesbezüglich sehr gelassen entgegensehen. Aber darum ging es gar nicht primär.


Es ging darum, dass ich eine super Möglichkeit bekam, meinen Arm schnell wieder fit zu bekommen. Andere sind nach Südafrika oder Lanzarote geflogen, ich halt nach Rio.

Meine Gastgeber waren Rosinha Santos (sie ist seit 18 Jahren eine feste Größe des paralympischen Sports in Brasilien) und ihre Trainerin Walquiria Campelo, mit der sie sich die Wohnung teilt, weil es so preiswerter ist. 

In der ersten Woche hat es eigentlich nur geregnet, aber das hat nichts gemacht, war ja warmer Regen und ich hab viel im hauseigenen Swimmingpool trainiert. Zudem konnte ich ins Fitnessstudio (nur fünf Minuten entfernt). Super! Weiter haben wir in dieser Zeit viele Leute besucht. Der Brasilianer malt sich notfalls die Sonne! Deshalb bin ich auch der festen Überzeugung, dass sowohl die olympischen Spiele, und danach die Paralympics ein voller Erfolg werden, denn diese Menschen haben einfach das Wesen, dass sie andere zufriedener und auch glücklich machen. Sie sind entspannt und wenn sie sagen, dass das klappt, dann glaube ich ihnen das. Vielleicht fehlt noch etwas Farbe am Stadion, keine Ahnung, ist nur ein Beispiel, aber bunt wird's trotzdem, das Land, die Stadt und die Menschen sind bunt!!


Viele Sportstätten, an denen ich vorbeigefahren bin, die waren ja schon ganz o.k., aber manches, das war noch sehr im Bau, da sagt auch jeder Einheimische, dass niemand Ahnung hat, ob das fertig wird. Das betrifft zum Beispiel mehr die Metro. Aber sie schuften Tag und Nacht, auch mit Strahlern bei Regen. Das Olympische Dorf hat aber super ausgeschaut!



In Deutschland war es kalt, in Rio warm, so konnte ich mit meiner Schulter den ganzen Tag etwas machen, was mich immens voran gebracht hat. Die Beweglichkeit ist voll da, und ab dem Zeitpunkt, wo ich wieder stoßen durfte, war die Schulter auch startklar. Darum hab ich dann auch gesagt, dass ich noch ein paar Tage dranhänge, wenn es gerade so gut läuft. War echt eine tolle Erfahrung, mit einem Teil des brasilianischen Teams Rio zusammen zu trainieren. Wir hatten sehr viel Spass zusammen! Ich finde, so einen "internationalen Trainingsaustausch", den sollten wir einfach mal offiziell machen.

Ich wollte in der Zusammenfassung meines Aufenthaltes ein paar Tipps geben, was wichtig und gut für die Zeit in Rio wäre, denn war mir geholfen hat, das kann ja allgemein auch nicht schlecht sein.

1. In Rio, allgemein Brasilien, werden Kinder nur 2 Jahre lang in den Schulen in Englisch unterrichtet. Es spricht also quasi niemand Englisch. Inwiefern die Volunteers bei den Paralympics Englisch sprechen, ich kann mir vorstellen, dass das vielleicht schwierig werden könnte.
Mir hat eine App auf dem Handy (gibt es für Android und Iphone) sehr geholfen. Sie heißt: "iTranslate" und ist kostenlos. Wenn WLAN oder Internetempfang verfügbar ist, dann übersetzt die App deutsche Sätze ins Portugiesische, spricht diese auch, übersetzt aber auch in andere Sprachen.

Diese App war mein wichtigstes Kommunikationsmittel in Rio überhaupt!! Ich konnte damit sogar Witze machen, sie ist unheimlich wichtig. Allerdings empfiehlt es sich, kurze Sätze zu schreiben, nicht zu komplizierte Sachverhalte.

2. Die Sonne in Rio ist verdammt stark. Die Sonne in Neuseeland war anders, aber ich sag mal so, die Sonne in Rio ist nochmal stärker. In Rio wird Lichtschutzfaktor 10 verkauft und es empfiehlt sich sehr, diesen vor Ort auch (zusätzlich zum eigenen Sonnenschutz) auch zu kaufen! Sonst sind böse Sonnenbrände vorprogrammiert.

3. Unbedingt gleichzeitig Kappe wenn man viel in der Sonne ist. (auf meinen Fotos ist meist keine Kappe, weil ich SEHR eitel bin, aber ich hab die Kappe immer nach dem Foto wieder aufgesetzt ;-) )

4. Immer nach 5-6 Stunden neu gegen Moskitos einsprühen. Das Spray kann mitgebracht werden, es gibt aber auch eine Reihe sehr guter Präparate in den Drogerien vor Ort. (Viele Drogerien!!) Die Biester sind gefährlich und allgegenwärtig.



5. Das Wasser aus den Wasserleitungen in normalen Mietshäusern (den Hochhäusern) sollte jetzt nicht unbedingt getrunken werden, aber wenn man mal beim Zähneputzen was verschluckt, dann stirbt man sicherlich auch nicht dran, weil es so immens stark gechlort ist, dass echt alles abgetötet ist.

6. Geld wechseln in die Landeswährung Reais empfiehlt sich vor Ort. Bitte unbedingt genug (Euro oder Dollar mitnehmen). Man kann vor Ort in den Malls wechseln.
Man kann mit Kreditkarten zahlen, ABER manches Gerät erkennt europäische Debitkreditkarten nicht als solche an und stuft sie nur als Creditcard ein. Man müsste dann den Pin für die Debitcard eingeben, was die Karte aber verwirrt. Also unbedingt genug Bargeld mitnehmen!

7. Wenn man sich an einige "Auflagen" hält, ist Rio keine Stadt, die gefährlicher ist als andere. An Stränden und vor allem der Copacabana niemals zahlen und dabei sich in den Geldbeutel schauen lassen. Immer umdrehen, Geld rausnehmen, zahlen. Wenn Tasche, dann nur mit Reißverschluss. Kamera sofort nach Gebrauch wieder darin verstauen. Handy niemals in die Hosentasche.
Ähnliches gilt für typische Touristenumschlagplätze und große Menschenansammlungen in Malls.
Niemals eine Comunità (Favela) betreten, von der man nicht von Einheimischen weiß, ob sie auch wirklich gefährlich ist oder nicht.
Taxis nur vor Malls oder Hotels anhalten.


8. Wer in Rio Spaß haben will, sich auf die Menschen und deren Lebensweise einlassen will, der muss etwas den Europäer ablegen, sonst wird das nichts. Damit meine ich, einfach mal für zwei Wochen etwas lockerer werden und sich gegebenenfalls auch drei oder vier Mal am Tag von wildfremden Leuten zum x-ten Male zwei oder drei Mal auf die Wange küssen lassen, weil das halt so üblich ist. Und wenn sich Brasilianer freuen, dann wird wieder geküsst (auf die Wange). Das kann schon mal ein bisschen viel werden ;-)

Ich danke meinen Freunden von ganzem Herzen, die mir so viel ermöglicht und mir in jeder Hinsicht geholfen haben. (Hier mit Walquiria und Beto im Botanischen Garten)